Drucken

31. August 2012

Mikroverunreinigungen: Spezialfinanzierung für ARA-Ausbau

Die Handelskammer steht der Vorlage skeptisch gegenüber und lehnt die Vorlage für die Änderung des GSchG in der vorliegenden Form ab. Sie hofft, die hier eingebrachten Stellungen tragen zur Verbesserung der Vorlage bei.

 

Zur Vernehmlassungsvorlage

Änderung des Gewässerschutzgesetzes (Verursachergerechte Finanzierung der Elimination von Spurenstoffen im Abwasser)

 

Ausgangslage

Mit Schreiben vom 25. April 2012 hat das UVEK die Botschaft zur Änderung des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) betreffend verursachergerechte Finanzierung der Elimination von Spurenstoffen im Abwasser in die Vernehmlassung gegeben. Mit der Vorlage soll die notwendige Rechtsgrundlage für eine gesamtschweizerische Abwasserabgabe zur Finanzierung von Massnahmen bei ARA zur Elimination von organischen Spurenstoffen eingeführt werden.

 

Grundsätzliches
Rechts- und Planungssicherheit gewährleisten

Der Ausschluss der Industrie-ARA führt zu grossen Rechts- und Planungsunsicherheiten, insbesondere bei laufenden Projekten. In der geplanten Anpassung des GSchG zur Reduktion der Mikroverunreinigungen sind explizit keine speziellen Anforderungen an Industrie-ARA erwähnt. In der Praxis werden jedoch solche Anforderungen in der Regel den lokalen Bedingungen angepasst sowie von den kantonalen Vollzugsbehörden festgelegt und verfügt. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass die geplanten Massnahmen im GSchG früher oder später unter dem Titel „Stand der Technik“ auch für Industrie-ARA gefordert werden, welche dann allerdings nicht vom neuen Art. 61a GSchG abgedeckt wären. Sie werden dann nicht berechtigt sein, das vorgeschlagene Finanzierungsmodell – eine Abgeltung bis 75 Prozent der anrechenbaren Kosten – anzuwenden.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Industrie-ARA und die Anforderungen an diese sind klar auszuarbeiten. Details hierzu sind unten in den Einzelheiten aufgeführt.

 

Einzelheiten
Industrie- und Kommunal-ARA definieren

Die Vorlage zur Revision des GSchG führt insgesamt für viele KMU und Abwasser verursachende Industrien zu grosser Planungsunsicherheit. Insbesondere für solche mit hohen Abwasserfrachten. Der Grund liegt darin, dass in der geltenden GSchV von 1998 kommunale von industriellen Einleitern unterschieden werden. Die Unterschiede waren Mitte der Neunzigerjahre naturwissenschaftlich begründet und gerechtfertigt. Für die Industrieabwasserreinigung war insbesondere der sich laufend weiterentwickelnde „Stand der Technik“ massgebend. Seit der GSchV 1998 fanden technisch und organisatorisch einige Änderungen statt. So haben Branchen (mit speziellem Kapitel in der GSchV, z.B. Zellstoffherstellung) die Produktion in der Schweiz eingestellt und in anderen Produktionszweigen sind die Verfahren wesentlich geändert worden. Zudem sind Industrie-ARA, welche 1998 noch einer Firma zugeordnet werden konnten, heute Teil eines Chemieparks mit verschiedenen Einleitern. Diese Reorganisation erschwert eine klare Zuordnung zum Teil erheblich.

Derzeit gibt es nur wenige Industrie-ARA, die ihr gereinigtes Abwasser direkt in ein Gewässer einleiten. Die Mehrheit der anderen, sogenannten „Industrie-ARA“, sind in der Praxis gemischte ARA, die sowohl Industrie- als auch kommunale Abwässer reinigen. Im Bereich Pharma/Chemie z.B. Givaudan (Vernier), CIMO (Monthey), Lonza (Visp) und die ARA Rhein (Pratteln). Die meisten KMU leiten ihre industriellen Abwässer in kommunale ARA ein.

Obwohl Industrie-ARA von der vorliegenden Änderung ausgenommen werden sollen, sind sie von ihr stark betroffen. Dies weil sich mit der vorliegenden Revision des GSchG und der geplanten Revision der GSchV der Stand der Technik massiv verändern wird.

Mit der Revision des GSchG und der GSchV wird der Ort der Abwassereinleitung entscheidend. Betriebe, die ihr Abwasser in eine Industrie-ARA einleiten, werden früher oder später Nachteile erleiden, weil sie dann ihre Anlage aufgrund des „Stands der Technik“ auch nachrüsten müssen, ohne dass sie dafür Subventionen erhalten.

Um eine praktikable Umsetzung zu gewährleisten, muss Folgendes erfüllt sein:

- Definition einer „Industrie-ARA“;

- Liste der heute als Industrie-ARA geltenden Anlagen;

- Bedingungen, unter denen eine Industrie-ARA zur kommunalen wird und umgekehrt;

- Klare Regeln für Industrie-ARA, welche ihr gereinigtes Abwasser in der kommunalen Anlage weiter reinigen, z.B. zur Nitrifikation;

- Definition von Regeln zur Reduktion von Mikroverunreinigungen für Industrie-ARA.

Für den Ausbau der ARA mit einer vierten Stufe ist ein Zeithorizont von 10 bis 15 Jahren anzustreben. So ist die Planungssicherheit gegeben und die Bauprojekte können nötigenfalls mit weiteren Infrastrukturprojekten gekoppelt werden.

Um eine genügende Planungs- und Rechtssicherheit zu erreichen, ist verbindlich festzuhalten, welche Industrie-ARA von Massnahmen zur Verminderung von Mikroverunreinigungen, dann aber auch von den entsprechenden Subventionen, ausgeschlossen sind.

 

Finanzierung klar regeln

Im Finanzierungsmodell existieren keine Vorgaben an die Kantone, wie die an eine ARA angeschlossenen Betriebe zu belasten sind. Es ist zu befürchten, dass die produzierende Wirtschaft, insbesondere auch die KMU, verstärkt zur Finanzierung herangezogen werden. Ebenso wird die Überwälzung der Abwasserabgabe gemäss neuem Art. 60b GSchG offensichtlich den kommunalen respektive regionalen ARA überlassen. Es findet sich keine Bestimmung in der Vorlage zur Art und Weise, wie das zu erfolgen hat. Dies kann zu erheblichen Ungleichheiten und Unsicherheiten führen. Die Abwasserrechnung haben alle Verbraucher (Industrie, Gewerbe, Haushalte) zu bezahlen und wird in den allermeisten Gemeinden über den Trinkwasserbezug berechnet. Das führt zu einer nicht gerechtfertigten Verschlechterung des Wirtschaftsstandortes, da Industrie und Gewerbe nur unbedeutend zu Verschmutzungen dieser Art beitragen, beziehungsweise mit den bereits üblichen Massnahmen an der Quelle wertvolle Beiträge zur Verringerung der Verschmutzung leisten. Die Überwälzung aller anfallenden Kosten auf die Trinkwasserbezüger ist nicht nachhaltig und fördert die Vermeidung und Verminderung von Mikroverunreinigungen nicht. In der Folge wären Forderungen zur Verbesserung oder Einschränkung der verursachenden Handelsprodukte oder zur Optimierung der Reinigungstechnologie nicht mit Kostenreduktionen bei Investitionen oder Betriebskosten zu begründen.

Es sind Rahmenbedingungen auf Gesetzesstufe festzulegen, damit nicht die Industrie und die KMU übermässig zur Finanzierung herangezogen werden.

 

Die Vorlage schiesst über das Ziel hinaus

Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum potenziellen ökologischen Nutzen. Einem grossen Ressourcenverbrauch und zusätzlichem Energieaufwand für die Umsetzung der geforderten technischen Massnahmen steht zwar eine Reduktion – notabene keine Elimination – der Mikroverunreinigungen gegenüber. Allerdings wird dieser Nutzen in Bezug auf die Abwasserbehandlung in modernen ARA überschätzt und andere mögliche Massnahmen werden ausgeblendet.

Mit dem ARA-Betreiber sind eventuelle Massnahmen individuell und unter Berücksichtigung der Ressourceneffizienz sowie der Betriebswirtschaftlichkeit zu definieren.

 

Fehlanreize vermeiden

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung schafft Fehlanreize und erfüllt die Motion 10.3635 bezüglich Gleichbehandlungsprinzip und Verursachergerechtigkeit nicht.

Die Vorlage ist dahingehend zu überarbeiten, dass vor allem das Prinzip der Verursachergerechtigkeit gewahrt bleibt.

 

Unterstützung des Gegenvorschlages der ERFA Grossstädte CH

Die Vorlage verstösst gegen das Gleichbehandlungsprinzip. Einwohner im Einzugsgebiet von Anlagen, welche Massnahmen zur Verringerung der Mikroverunreinigung umzusetzen haben, sind im Vergleich zu Einwohnern, welche an herkömmlichen Anlagen angeschlossen sind, zweifach belastet:

- einerseits mit der Beitragspflicht, welche für alle Einwohner gleichermassen gilt. Diese Beiträge, welche dem Bund abzuliefern sind, würden über die Beitragsdauer von 20 Jahren die Investitionen der Klärwerke vor Ort mehr als decken.

- andererseits mit der Finanzierung der nicht gedeckten Investitionsosten der Kläranlagen. Nachdem die Kosten aus Massnahmen zur Verringerung der Mikroverunreinigungen nur zu 75 % an die Kläranlagen zurückerstattet werden und die Umsetzung zu höheren Betriebskosten, Zinsen und Abschreibungen führt, steigt die Finanzierungslast dieser Einwohner nochmals an. Je kleiner eine Anlage ist, umso stärker werden die Betriebskosten/Einwohner ansteigen.

Die Vorlage führt zu einer Mitteläufnung beim vorgeschlagenen Fonds, da über die 20 Jahre mehr Mittel eingezogen als wieder ausgeschüttet werden. Letztlich wäre es für die Einwohner billiger, die Massnahmen zur Verringerung der Mikroverunreinigungen selber zu finanzieren und im Gegenzug keine Beiträge an den Fonds zu leisten.

Mit dieser Ausgangslage ist zu befürchten, dass eine Mehrzahl der betroffenen Anlagen keine schnelle Umsetzung anstreben würde. Die Anlagen würden damit erreichen, dass die angeschlossenen Einwohner neben der jährlichen Abgabe in den Fond, erst im «letzten Moment» mit zum Teil sehr erheblichen zusätzlichen Betriebs-, Zins- und Abschreibungskosten belastet werden. Mit einem Subventionssatz von 75 % besteht zudem die Versuchung, teuer zu bauen.

Der neue Art. 60b „Abwasserabgabe des Bundes“ des zu ändernden Gewässerschutzgesetzes ist dementsprechend um folgenden Absatz zu ergänzen: «Anlagen, welche die Massnahmen zur Elimination von organischen Spurenstoffen umgesetzt haben und die Reinigungsleistung erbringen, werden ab dem Folgejahr von der Abgabepflicht befreit».

Im Sinne des Gleichbehandlungsprinzips und einer ausgewogenen und gerechten Belastung der betroffenen Anlagen und Einwohner in der Schweiz sollen daher die umsetzungspflichtigen Anlagen, welche wirksame Massnahmen umgesetzt und die verlangte Reinigungsleistung nachgewiesen haben, ab dem Folgejahr von der Abgabepflicht befreit werden.

Für einen effizienten Ressourceneinsatz (Finanzen, Hilfsstoffen, Energie, usw.) soll daher die Anzahl der Anlagen, die gemäss Kriterienkatalog des Bundes, die Massnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen im Abwasser umsetzen müssen, auf 130 beschränkt werden.

 

Abschliessende Bemerkung

Die Handelskammer unterstützt die Stellungnahme von scienceindustries und insbesondere die dort aufgeführten technischen Angaben und Probleme.

Im Weiteren verweisen wir auf unsere Stellungnahme vom 25. Mai 2010 zur Änderung der Gewässerschutzverordnung (GSchV) und den darin aufgezeigten Problempunkten.

 

Downloads

Stellungnahme Änderung des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) zur Elimination von Spurenstoffen im Abwasser

Omar Ateya
Bereichsleiter Raumplanung, Energie & Umwelt

Artikel teilen

per E-Mail weiterleiten

Das könnte Sie auch interessieren